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VIII. Unpässlichkeiten

Ayesha vertrug die Seefahrt überhaupt nicht, was immer sie von Christine gefüttert bekam, behielt sie nicht im Magen, weswegen sich Christine um ihren kleinen Liebling große Sorgen machte. Auch wenn die Überfahrt morgen früh bereits überstanden war, so war es für ihr Kätzchen eine Qual und Christine litt solidarisch mit und blieb in ihrer Kabine und umsorgte ihre Katze wo sie nur konnte. Sie war so sehr mit der Pflege von Ayesha beschäftigt, dass sie die ganze Überfahrt nicht einmal an Erik dachte oder viel Zeit für Raoul hatte.

Raoul hingegen konnte seine Gedanken nicht von Erik lassen, irgendetwas sagte ihm, dass etwas nicht stimmte. Schon allein die Tatsache, dass Christine gestern so spät ins Hotel gekommen war und heute Morgen verschlafen hatte, das passte nicht zu ihr. Vor allem ihre plötzliche Genesung machte ihm zu schaffen, was wenn sie ihn gesehen und sich mit ihm getroffen hatte. Einerseits war er froh, das sie wieder gesund war, aber eine innere Stimme warnte ihn. Er wurde einfach das Gefühl nicht los, das sie nur ihm etwas vorspielte. Sie war gestern am Strand so unbeschwert gewesen, verflogen war all die Schwäche, die sie in Paris geplagt hatte. Doch was ihm am meisten ärgerte, war die Art, wie sie diesem Schiff, das nach Amerika ausgelaufen war, hinterher gesehen hatte. Er hatte sich eingebildet, dass sie jeden Augenblick über Bord gehen würde und diesem Schiff hinterher schwimmen würde. Viel hatte nicht mehr gefehlt, bildete er sich ein.

Er hatte noch am Tag ihrer Abreise nach England telegraphiert, um seinen Freund Charles zu bitten einen Detektiv zu engagieren, der sich mit der Beschattung von Personen auskannte. Mit einem Mal, war all sein vertrauen in Christine zusammengebrochen. Er würde nicht zulassen, dass sie auf dumme Gedanken kommen würde. Sie würde ihn heiraten, ihm Kinder schenken und danach war ihm alles egal, wenn sie ihre Pflichten als Ehefrau erfüllt hatte, könnte sie tun und lassen was sie wollte, solange sie nicht für Klatsch und Tratsch sorgte.

Der Kapitän hatte den Vicomte und seine Verlobte zum Dinner gebeten und Raoul ging bereits ungeduldig vor der Offiziersmesse auf und ab. Er hatte Christine mitteilen lassen, dass sie um sieben mit dem Kapitän dinieren würden, doch bis jetzt, war sie nicht gekommen und dabei war es schon fünf vor sieben. Der Kapitän kam gerade auf ihn zu, als Raoul zum wiederholten Male auf seine Taschenuhr blickte.

"Frauen, brauchen immer so lange, dass sie einen den letzten Nerv rauben können,  nicht wahr?", scherzte der Kapitän, als er seinen Gast begrüßte.

"Ja, da haben sie wohl recht.", meinte er etwas unsicher, es war zwei Minuten vor sieben.

Atemlos, rannte Minette durch die Gänge zur Offiziersmesse. Soeben hatte sich diese verflixte Katze zum wiederholten Male übergeben, kein sehr schöner Anblick und ein übelriechender dazu, da war sie froh, dass sie mit einer Nachricht zum Vicomte geschickt wurde, ansonsten hätte sie wohl den Dreck beseitigen müssen.  Sie klopfte leise an der Tür an und wartete auf ein herein. Verlegen trat sie ein, als der Kapitän die Tür öffnete und sie verwundert ansah.

"Verzeihen sie Monsieur, ich soll Monsieur eine Nachricht überbringen.", entschuldigte sie sich und reichte dem Vicomte die Karte von seiner Verlobten, die sich entschuldigte, am Essen nicht teilnehmen zu können, da es Ayesha unerwartet schlechter ging und sie das arme Geschöpf unmöglich alleine lassen konnte.

"Diese verdammte Katze.", fluchte Raoul und wollte gehen, aber der Kapitän bestand auf seine Anwesenheit.

Als das Dinner sich dem Ende neigte und ein Kellner Brandy und Zigarren reichte, begann eine ungezwungene Unterhaltung.

"Ihre Verlobte ist sehr tierlieb, das ist ein gutes Zeichen für eine fürsorgliche Mutter.", meinte er verschmitzt und wollte seinen Gast etwas aufmuntern.

"Das stimmt. Ich habe ihr die Katze erst vor wenigen Wochen geschenkt und die beiden sind schon unzertrennlich."

"War bestimmt schwer, für Mademoiselle, sie in Quarantäne zu geben?"

"Schwer ist gar kein Ausdruck, sie wollte mit der Katze mitgehen, aber ich habe sie überreden können, die Katze allein fahren zu lassen."

"Das Tier wird sich wieder erholen, sobald es wieder Festland unter den Füßen hat, darauf gebe ich ihnen mein Wort. Die meisten Haustiere vertragen die Seefahrt nicht sehr gut."

"Ihr Wort in Gottes Ohren."

Noch lange hielt der Kapitän seinen Gast bei sich, denn er ahnte, dass dann die Wut des Vicomte schneller verfliegen würde und so Worte gespart wurden, die lieber nicht ausgesprochen werden sollten, zum Wohle des jungen Glückes. So war es schon weit nach Mitternacht, als Raoul in seine Kabine zurückkehrte, erst wollte er noch bei Christine vorbeischauen, aber in ihrer Kabine war das Licht bereits gelöscht und da wollte er sie nicht wecken. Außerdem hatte sie sich wieder Mal eingeschlossen.

Christine war vor wenigen Minuten ins Bett gekommen, nachdem sich Ayesha beruhigt hatte und wenigstens etwas Fischbrei bei sich behalten hatte, es war nicht viel, aber wenigstens etwas. Nun schlief sie zusammengerollt auf Christines Bett. Raoul war bestimmt wütend, dass sie ihn alleine gelassen hatte und nicht zum Abendessen erschienen war und würde ihr Morgen Vorwürfe gewiss nicht ersparen. Er verstand sie einfach nicht, wenn es um Ayesha ging, manchmal kam es ihr dann vor, als würde Raoul in dieser Katze Erik sehen, aber er wusste ja Gott sei Dank nichts von Eriks Ayesha. Mit diesen Gedanken schlief sie friedlich, müde und auch ein wenig erschöpft ein.

Am nächsten Morgen gesellte sie sich dann doch zum Frühstück zu Raoul, Ayesha schlief noch und wenn sie aufwachen würde und es ihr wieder schlechter ging, würde Minette schon nach ihr schicken. Raoul war etwas überrascht, Christine zu sehen, sarkastisch hatte er gedacht, dass sie wieder mit ihrer Katze frühstücken würde.

"Guten Morgen, Raoul.", begrüßte sie ihn etwas zaghaft.

Nachdem sie sich gesetzt hatte und ihr Kaffee eingeschenkt wurde und ein zweites Frühstück aufgetragen worden war, konnte Raoul es nicht lassen.

"Ich hoffe, du hattest gestern einen schönen Abend.", sagte er scharf und blickte sie dabei durchdringend an. Diesen Blick kannte sie nicht, zumindest nicht an ihm, nicht an ihrem sanften lieben Raoul, bei Erik hätte sie dieser Blick in keinster Weise gewundert, aber bei Raoul, war ihr der Blick unheimlich.

"Es tut mir wirklich leid, aber Ayesha... .", weiter kam sie nicht, denn sie wurde rüde von Raoul unterbrochen.

"Ja, diese verdammte Katze, ich hätte sie dir niemals schenken dürfen. Du bist nur noch mit ihr zusammen und vernachlässigst mich dabei. Glaubst du, ich habe dich von diesem Monster befreit, damit ich dich nun an eine Katze verliere die seiner gottverdammten Katze ähnlich ist.", brachte er wütend, vorwurfsvoll doch leise vor.

Christine starrte ihn an, wie konnte er nur so kalt sein, wie konnte er nur so egoistisch sein und was noch schlimmer war, er wusste von der anderen Ayesha.

"Wenn du dich nicht bald so benimmst, wie es sich für eine Ehefrau gehört, dann wirst du dich wohl entscheiden müssen, entweder ich oder dieses Katzenvieh."

"Raoul, bitte. Es tut mir Leid, ich wollte dir doch nicht weh tun. Sie ist doch so hilflos ohne mich. Sobald wir in England sind, wird es ihr schon wieder besser gehen, bestimmt.", sagte sie versöhnlich und strich zärtlich über seine Hand.

Raoul blickte in ihre entschuldigenden verzweifelnd blickenden Augen und vergaß seinen Ärger. Ihre sanften braunen Augen ließen ihn alles vergessen, obwohl nicht ganz, für alles hatte sie sich entschuldigt, auf jedes seiner Worte hatte sie geantwortet, aber zu der Tatsache, dass er wusste, das Erik auch so eine Siamkatze besaß hatte sie nichts gesagt.

"Raoul?"

"Schon gut. Es tut mir Leid, die letzten Wochen waren auch für mich etwas viel auf einmal.", meinte er versöhnlich und redete sich ein, das nun wirklich alles wieder gut werden würde und dass er sich völlig zu unrecht von Erik bedroht fühlte. So mal der meilenweit weg war und ihn gar nicht mehr bedrohen konnte. Nun wo sie ihn so verzweifelt ansah, krochen in ihm Schuldgefühle auf, wie hatte er nur vergessen können, dass sie sich über Monate hinweg in der Gewalt dieses Ungeheuers befunden hatte. Er schwor sich sie nicht noch einmal derart zu bedrängen, damit sie sich schneller erholen konnte. Und damit dies schneller vonstatten ging, wollte er sie in die Hochzeitsvorbereitungen mit einbeziehen, immerhin musste sie ein anständiges Brautkleid haben und eine ordentliche Aussteuer, darum würde sie sich selber kümmern, dann hätte sie mehr Freiraum und würde vielleicht doch schneller in die Wirklichkeit zurückkehren. Immerhin war sie von diesem Phantom in einem Phantasiegebilde gefangen worden, aus dem sie allmählich aufwachte, er würde den Detektiv nicht engagieren und ihr lieber mehr zumuten, damit sie sich in dieser realen Welt besser zu recht fand und wieder die werden konnte, die sie früher einmal war.

Zum Glück hatte sich Ayesha doch noch überlegt den Rest der Überfahrt brav zu bleiben und zu schlafen, so konnte sie nicht fressen und daher auch nicht alles wieder erbrechen. Nur gut, dass sie in einer Stunde in Dover sein würden.

Raoul war in seiner Kabine und las einige der Wirtschaftsartikel, die ihm sein Freund geschickt hatte, um sich auf seine Arbeit einzustellen, Ayesha schlief brav in Christines Bett und wachte sofort auf, wenn sich jemand Fremdes näherte und fauchte denjenigen angriffslustig an, trotz ihrer Unpässlichkeit war sie Fremden gegenüber noch immer sehr aggressiv. Währenddessen stand Christine an der Reling und blickte aufs Meer hinaus. Man konnte die weißen Kreidefelsen von Dover in der Ferne schon ausmachen, sie würden bestimmt majestätisch in die Höhe ragen, wenn sie noch näher kamen. Doch nur für einen Moment schenkte sie den Felsen ihren Blick, dann glitt er wieder nach Westen, immer weiter nach Westen, wo irgendwo Amerika, New York liegen musste. Christine wurde den Gedanken nicht los, auch einmal nach New York zu fahren, dort durch die Straßen zu gehen und die Häuser zu bewundern, die Erik entworfen hatte und ihm zu begegnen, vielleicht hätte sie dann auch endlich die Kraft ihm alles zu gestehen, was sie jetzt noch nicht gestehen konnte. Sich selbst etwas gestehen, fand sie einfacher, als jemanden anderen darin einzuweihen.

Der Wind zerrte an ihren Haaren, als sie ihre heißen Tränen über ihre Feigheit in ihren Augen brennen spürte. Rasch wand sie ihren Blick ab, von Westen und schaute in die Richtung, in der ihre Zukunft lag. Die Felsen von Dover waren nun beinah zum Greifen nahe, sie hatte gar nicht bemerkt, wie rasch die Zeit verstrichen war. Minette hatte bereits alles Gepäck mit Raouls Diener an Deck getragen und stand nun, mit Ayesha im Arm neben ihr. Unauffällig deutete sie auf Christines Tränen, die diese auch gleich fortwischte, bevor Raoul sie sah und misstrauisch werden könnte, er war ohnehin schon argwöhnisch geworden und sie wollte seinen Argwohn nicht auch noch nähren. Sie nahm Ayesha in den Arm und bestaunte mit Minette die Kreidefelsen, während das Schiff langsam in den Hafen hineinmanövrierte.

"Liebling, kommst du.", rief Raoul ihr zu als die Laufplanke ausgelegt war und reichte ihr den Arm, um mit ihr an Land zu gehen.




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