Vergleicht man die
obigen Preise und den monatlichen Verdienst und bedenkt,
dass ein einfaches Kleid, je nach Körpergröße und Figur
ca. 9 m Stoff verbraucht, kann man ganz gut verstehen, das
Mode früher nicht unbedingt erschwinglich war. Zudem
konnte man nicht einfach in ein Geschäft gehen, wie heute,
und kommt mit einer gefüllten Tüte voller Kleidungsstücke
wieder heraus. Kleidung gab es nicht von der Stange.
Konfektionsware nahm zwar seinen Anfang in der Mitte des
19. Jahrhundert, aber zunächst gab es nur "zeitloses"
fertig zum Gebrauch zu kaufen. Also fand man nur
Leibwäsche und Herrenkleidung, da diese weniger dem Wandel
unerworfen war, wie die Mode der holden Weiblichkeit. Wie
also kam frau denn dann zu ihrer Kleidung?
Eigentlich ganz einfach, sie fertigte sie sich selber. Im
19. Jahrhundert war die Blütezeit der frühen
Modezeitschriften, die man zum Teil für 0,35 M erwerben
konnte. Gewiss die Mode darin war eigentlich an die
gutbetuchten Damen gerichtet, doch so wie die
durchschnittliche Frau heute, die hochglanz Bilder der
Kreationen von Designern konsumiert, taten dies die Frauen
damals auch. Sie versuchten die Kleider aus den
Zeitschriften selber nachzunähen oder, wer es sich leisten
konnte, ging damit zu seiner Schneiderin und legte ihr
diese vor und gab ein Kleid in Auftrag. Doch meistens
wurden keine neuen Kleider bestellt, sondern sie wurden
aufgetragen und nach neuster Mode abgeändert, bis es nur
noch für die arme Verwandschaft auf dem Land gut genug
war.
Ohnehin
war Konfektionsware für Oberbekleidung für Frauen recht
kompliziert, denn die Frauen trugen damals Korsett und
dadurch verändert sich die natürliche Figur. In Klemms
Damenschneiderei von 1885 kann man für die Oberweite ein
Maß von 96 cm und eine Taillenweite von 64 cm finden und
lernt, dass man damit eine sogenannte "mittelstarke Figur"
hat, vergleicht man dies mit heutigen Maßen und
berücksichtigt, dass Frauen damals im Schnitt kleiner
waren, nämlich nur 1,55 m, dürfte eine normale Figur
damals einer heutigen Konfektionsgröße 42 entsprechen.
Vergleicht man Schnittmuster der 1870er Jahre, dann findet
man im Durchschnitt bei der Oberweite Maße von 90-96 cm
und für die Taile 58-64 cm. Letztere sind natürlich dann
schon korsettiert.
Eine einfache
Arbeiterfamilie in einfacher Kleidung
Das Korsett ist auch so ein Thema, welche Schichten
trugen es überhaupt? Es gibt zumindest weniger steife
Modelle für Hausmädchen, ich arbeite noch an einem nach
einem englischen Modell von 1864. Arbeiten im Korsett war
durchaus möglich, aber es bleibt der arbeitenden Frau
überlassen, ob sie sich eines leisten will. Da die
Kleidung der einfachen Frauen kaum erhalten sind, weil sie
einfach aufgetragen worden sind, bis sie zerfielen, kann
man nur an Hand weniger Fotos rekonstruieren, wie
modebewusst die Frauen damals in den unteren Schichten
waren. Meine Vermutung: sofern sie es sich leisten konnte,
werden die Frauen immer versucht haben, mit der Mode zu
gehen, wie wir es heue ja auch tun.
Einfacher haben wir es da mit der Kleidung der
wohlhabenden Damen, vornweg die Kundinnen der Haute
Couture Mode von Charles Frederick Worth. Seine Kleider
und auch die von den anderen Modeschöpfern wie Emile
Pingat oder Doucet waren für die meisten unerschwinglich,
so wie ich mir werde nie ein Dior-Kleid leisten können,
konnten das damals die aller wenigsten mit Worth &
Co., denn deren Kleider konnten umgerechnet in heutige
Währung 500.000 € und mehr kosten. Selbst einige Kundinnen
von Worth und Pingat ließen sich ihre Kleider von Jahr zu
Jahr der Mode anpassen, denn auch sie mussten mit dem Geld
ihrer Gatten haushalten.
Wir sehen, auch die gutbetuchten Damen versuchten zu
sparen, wenn es möglich oder notwendig war. Die Mode der
1870er und 1880er war aber eigentlich eine sehr gnädige
Modeepoche, denn die Tournüren konnten und wurden auch aus
einfachen Stoffen gefertigt und kunstvoll drapiert, mit
etwas Geschick, war ein Tournürenkleid kein Problem für
die Frauen, somal das Lernen der Näherei für Mädchen zur
Ausbildung gehörten. Kaum ein Mädchen, kam um den Umgang
mit Nadel und Faden, herum, kaum eine Frau, die nicht
nähen konnte. So konnten sie mit etwas Geschick und
Kreativität hübsche Kleider
fertigen.
Charles Frederick
Worth
Die Kleider der Schneider und Schneiderinnen und erst
recht die Kleider aus den damaligen Haute Couture Häusern,
waren handwerklich so phantastisch gearbeitet, dass man
sie problemlos jahrelang tragen und abändern konnte. Viele
davon können wir noch heute in Museen in Frankreich,
Deutschland, England, den USA oder auch Japan bewundern.
Wie heute, so auch damals, der Geldbeutel bestimmte nicht
nur die Ausmaße der Garderobe, sondern auch ihre Herkunft,
nur eins war damals anders, Qualität und Langlebigkeit
waren entscheidend, denn Kleidung wurde nicht nach einer
Saison weggeworfen, wie heute oftmals, wenn man sich bei
den Billigketten einkleidet. Kleidung musste halten und
sie musste änderbar sein, weswegen es damals übrigens
üblich war, dass Stoff und Futter, als eine Lage
verarbeitet worden sind und die Stäbe herausnehmbar waren,
denn nur so konnte man leicht Anpassungen und Änderungen
vornehmen, und musste nicht einmal das Futter und einmal
den Oberstoff ändern, so wie es heutzutage notwendig wäre,
würde man Kleidungsstücke noch umarbeiten.
So sieht so eine Taille damals von Innen aus.
Nachfolgend noch ein paar Beispiele für die Kleider der
damaligen Zeit:
Dinnerkleid von Emile Pingat, ca. 1879
Ein Abendkleid von Worth,
ca. 1886-1889
Tageskleid, ca 1872,
wahrscheinlich aus Frankreich.
Dies ist ein Kleid
aus dem Bestand des Kulturhistorischen Museums
Rostock, ein Tournürenkleid von 1870. Hier sieht man
sehr schön, dass dieses Kleid nicht neu angefertigt
worden war als Tournürenkleid. Die Pagodenärmel, waren
zur Zeit der Krinoline in den 1860er Jahren modern
gewesen, auch die kurze Taille ohne Schöße lässt mich
eine Anpassung an den neuen Modetrend vermuten.
Außerdem sind auch die Rockbahnen für eine
Neuanfertigung insgesamt zu breit, da wurde wohl
abgeändert.
Quellen:
Die Modenwelt, 1886
Das Hausfrauenbuch, 1903
Klemm, Heinrich, Schule der Damenschneiderei, 1885
weitere Bücher zum Themen Mode und Entstehung siehe
Literaturliste