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Frühstück

Einsam wälzte er sich in seinem prächtigen orientalischen Bett hin und her. Schon seit Tagen litt er unter der Einsamkeit, die er nun ertragen musste, bis sein Schöpfer ihn zu sich rufen würde. Hatte er sich vor zwei Monaten noch vorstellen können seinem elenden Leben selber ein Ende zu setzen, war er nun, wo sein Leben wahrlich keinen Sinn mehr zu haben schien, nicht mehr dazu im Stande.

Er hatte sie fort geschickt, er hatte sie an die Oberfläche ins Licht geschickt. Der Junge hatte sie in seine Arme genommen und hatte Christine aus seinem Leben geführt.

Bleib, bitte bleib.“, erklang seine Stimme und sie verriet seine Tränen, die nun unerlässlich über sein deformiertes Gesicht rannen. Er blickte hinter den beiden her und sah verschwommen wie sich Christine immer mehr von ihm entfernte. Sie drehte sich nicht um. Mittlerweile war er auf seine Knie gefallen und flehte das sie bleiben würde. Doch sie blieb nicht, sie kehrte nicht zurück stattdessen drehte sich Raoul um und hob seinen Arm. Erik konnte durch seine Tränen nicht sehen, was Raoul in Händen trug. Ein lauter Knall löste sich und traf Erik schwer.

Mit einem lauten Schrei fuhr er auf. Der Schweiß rann über seinen Körper und der seidige Bettbezug klebte an seinem Körper. Es war nur ein Traum gewesen, Raoul hatte ihn nicht erschossen, obwohl er es sich wünschte, dann wäre dieses Leben hier unten endlich vorbei gewesen.

Einen verzweifelten Seufzer von sich gebend, begab er sich ins Bad und erledigte seine Morgentoilette ehe er sich wieder dem melancholischen Ende seiner Oper zuwenden würde. Hatte er noch vor Monaten gehofft, das sein Werk ein gutes Ende nehmen würde, stand nun fest, das es depressiv, düster und hoffnungslos aus gehen würde.

Ayesha schlängelte sich durch seine Beine und mauzte, als er das Wohnzimmer betrat. Geistesabwesend stellte er seiner verwöhnten Katzendame ihr delikates Futter hin, griff dann nach seinem Umhang und Hut und verließ, wahrscheinlich ein letztes Mal in seinem Leben, seine Behausung.

Draußen war es noch tiefe Nacht. Sternenklar war es und kalt. Die Bürger von Paris schliefen noch alle und selbst die Mädchen der Nacht waren von den Straßen verschwunden. Für ihn war es eine angenehme Stunde. Niemand würde ihn sehen und anstarren. So trugen ihn seine Füße durch die Straßen und Parks. Seinen Degen hatte er bei sich, sollte es nötig sein sich zu verteidigen. Auch wenn er sein Leben nicht länger leben wollte, so wollte er auf keinen Fall von einem Dieb getötet werden.

* * *

Leise hatte sie sich aus dem Zimmer geschlichen. Ihre Schuhe trug sie auf den Armen unter ihrem samtenen Umhang verborgen. Vor einer Stunde war es endlich ruhig geworden im Hause de Chagny. Sie hatte sich angezogen und hatte das Obst, das in einer silbernen Schale in ihrem Zimmer stand in ein Tuch gepackt. Eine Flasche Wein, die sie gestern auf dem Tablett zusammen mit ihrem Mittagessen vorgefunden hatte, ruhte nun in der tiefen Tasche ihres Kleides. Der kalte Braten vom Mittag war sorgfältig verpackt und lag auf dem Brot. Brot und Croissants würde sie gleich noch aus der Küche mitnehmen.

In den vergangenen Tagen hatte sie an den vielen nachmittäglichen Besuchen von Raoul teilnehmen müssen und langweilte sich schrecklich. Die Leute waren so oberflächlich, so hohl. Nichts was sie taten war beeindruckend, außer vielleicht die kostbaren Schmuckstücke, die sie präsentierten. Christine ertappte sich dabei, wie sie sich nach den geistreichen Unterhaltungen mit Erik gesehnt hatte. Sie selber war zwar gewiss nicht so gebildet wie Erik, aber er brachte ihr soviel bei, er hatte sie immer gefordert und ihre persönliche Meinung hatte ihn immer ehrlich interessiert. Für Erik war sie nie ein geistloses Modepüppchen gewesen, das irgendetwas repräsentieren sollte. Bei ihm war sie ein Mensch und zwar der Mensch der sie tief in ihrem Inneren und für ihn so reizvoll war.

Die Kapuze zog sie tief in ihr Gesicht und so öffnete ganz leise die Tür und schlich zum Botenaufgang, wo sie der Treppe ins Souterrain nahm um in die Küche zu gelangen und noch fehlendes mitzunehmen. Nachdem frisches Brot, Croissants und Biskuittörtchen ein. Zu ihrem Glück hing der Schlüssel für den Boteneingang neben der Tür. Lautlos öffnete sie die Tür und verließ das Haus, das ihr neues zu Hause hätte werden sollen. Doch es war nur ein goldener Käfig in dem sie sich verstellen musste.

Sie huschte wie ein Schatten um das Haus und zum Eingang. Dort schlängelte sie sich durch die Hecke durch und gelangte auf die Straße. Es war kalt, doch noch dachte sie nicht daran ihre Schuhe anzuziehen. Sie fürchtete man könnte sie hören und würde sie verfolgen. Erst als sie das elegante Viertel mit den Stadtvillen der Aristokraten hinter sich gelassen hatte, setzte sie sich auf eine Bank und zog sich ihre Schuhe an, nachdem sie ihre Strümpfe gewechselt hatte.

Nun, mit festem Schuhwerk eilte sie weiter, immer weiter zur Oper. Sie kannte den geheimen Zugang zu Eriks Behausung und zielsicher öffnete sie das Tor und tapste im Dunkel der Kellergewölbe zum See hinunter. Das Boot lag vertäut am Ufer, also musste Erik außer Haus sein. So setzte sie alles in das Boot und ruderte auf die andere Seite.

Während ihrer Flucht aus Raouls Heim hatte sie nichts gespürt außer Leere kam nun ihr Gefühl zurück. Endlich fühlte sie eine Geborgenheit, die sie in den vergangenen Tagen vermisst hatte. Sie wusste sie war hier zu Hause auch wenn der Rest der Welt dies wohl nie verstehen würde, aber es war so. Das Boot stieß gegen die Mauer und Christine versuchte das Boot festzumachen. Sie öffnete die Tür und sofort kam ihr Ayesha entgegen. Beinah freudig wurde sie von der Katzendame begrüßt.

Erik war wirklich außer Haus. Absolute Stille lag über den Räumen und nur das schwache Glimmen des Kamins spendete ein wenig Licht.

* * *

Der Morgen begann sich mit einem rötlichen Schleier anzukündigen, als Erik die Oper erreichte. Das Boot am See war nicht mehr da und so musste er den Umweg über den Geheimgang in der dritten Versenkung nehmen. Zu dieser Stunde musste er auf der Hut sein, denn die ersten Bühnenarbeiter waren bereits wieder am Werk und brachten Ordnung in die Kulissen nach der gestrigen Vorstellung. Immer wieder musste er sich im Schatten einer Tür oder einer Kulisse verbergen aber endlich hatte er es geschafft. Er war angekommen und als er sein Wohnzimmer betrat traute er seinen Augen nicht.

Ayesha lag zusammengerollt auf ihrem Seidenkissen, was nichts Ungewöhnliches war, doch sein Blick blieb auf den Kerzen ruhen, die vor dem Kamin entzündet waren. Auf einem silbernen Tablett standen Gläschen mit Konfitüre, wenn er das bei dem Licht erkennen konnte. Daneben stand ein Korb mit Brot, Croissants und Kuchen. In der Schale, die sonst auf dem Kaminsims stand, fand sich allerlei frisches Obst und zwei Weingläser standen bereit und eine Flasche Rotwein stand geöffnet daneben. Der Samowar dampfte und eine Kanne mit Tee verströmte einen wunderbaren Duft.

Wie ist das möglich?“, fragte er sich, während er Hut, Umhang und Handschuhe ablegte. Er betrachtete die Szene und verstand nicht, wo dass alles herkam. Nadir steckte bestimmt nicht dahinter und Jules wohl auch nicht.

Ayesha blickte auf als die Tür zu Christines Zimmer aufging und auch Erik drehte sich um. Ungläubig blickte er Christine an, die in ihrem Brautkleid aus dem Zimmer kam und etwas überrascht war, das Erik schon zurückkam. Sie schien mit ihrer Vorbereitung noch nicht fertig gewesen zu sein, denn sie trug eine Vase mit Rosen in ihren Armen.

Christine.“, kam es gehaucht von Erik, der sich in einem Traum glaubte.

Freudig stellte Christine die Blumen, die sie aus eine der Garderoben geholt hatte, ab und lief zu Erik. Ihre Arme schlossen sich um seinen Hals und ihre Lippen suchten seinen Mund. Völlig perplex ließ Erik alles mit sich geschehen. Er war in einem Traum, redete er sich ein und er wollte nicht das dieser Traum endete.

Weißt du was heute für ein Tag ist?“, fragte sie mit flüsternder Stimme, nachdem sie ihren Kuss beendet hatte. Doch Erik schüttelte nur den Kopf, noch immer hatte er seine Stimme nicht wieder gefunden. „Heute ist Valentinstag, der Tag der Liebenden.“

Nun brachte Erik etwas Abstand zwischen sie beide. „Aber Christine, was ist mit…“

Christine unterbrach Erik. „Ich habe entschieden, dass ich bei dir glücklicher bin.“

Ein Lächeln stahl sich auf Eriks Gesicht und all seine Hoffnungen und Träume kehrten zurück. Sein Herz begann aufzuleben, wie auch seine Seele. Gemeinsam saßen sie am Kamin und frühstückten, fütterten sich mit Obst und Kuchen.

Was ist mit Raoul?“, wagte Erik dann doch die Harmonie zu stören.

Ich weiß es nicht. Ich bin einfach gegangen. Ich habe es nicht mehr ausgehalten, dieses gekünstelte Leben war unerträglich.“

Erik versteifte sich. Gewiss würde der Vicomte Christine zurückfordern. „Wir sollten gehen.“, meinte Erik und erhob sich. Er ging in sein Zimmer, packte sein Barvermögen und die wichtigsten Sachen zusammen.

Aber …“

Kein Aber Christine. Packe ein paar Sachen zusammen und dann verlassen wir Paris für immer. Wir beginnen irgendwo ein neues Leben, irgendwo wo uns Raoul nicht finden kann.“, bestimmte Erik.

* * *

Der Frühzug nach Rom verließ Paris, als Raoul wutentbrannt die Wohnung am See stürmte, doch er fand sie nur noch leer vor. Er sah sich überall um, es war offensichtlich, dass Erik die Wohnung unvorbereitet verlassen hatte, viele Bücher, Experimentiergerätschaften waren zurückgelassen worden, nur ein Teil seiner Garderobe fehlte und auch aus Christines Zimmer waren einige Dinge verschwunden. Raoul eilte zum Bahnhof und erkundigte sich bei dem Bahnvorsteher, ob er einen Mann mit Maske gesehen hätte in Begleitung einer jungen Dame. Doch der Vorsteher verneinte.

Erik und Christine verließen nach ihrer Ankunft in Rom Europa und Erik zeigte ihr die Welt, ehe die beiden sich irgendwo niederließen und den Rest ihres Lebens zusammen genossen.


~ Ende ~