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Näh-Set des 19. Jahrhunderts


Heutzutage kann man für alles mögliche Starterpakete bekommen, für Beannie-Mützen, zum Herstellen von Taschen und auch zum Herstellen von Korsetts, zum Häkeln kleiner putziger Tiere oder auch zum Nähen von Stofftieren für kleine Kinder. Auf meiner Facebook-Seite iestamar teile ich regelmäßig die Ausgaben verschiedenster Frauen- und Modejournale des 19. Jahrhunderts und vor kurzem sind mir dabei zwei Zeichnungen aufgefallen. Das bisher mir älteste Nähset präsentierte sich da fast schon unscheinbar.

Die nachfolgenden Bilder und Beschreibung stammen aus der Illustrierten Frauen-Zeitung von 1879.

CartonNr. 49. Carton=Kleid mit Vorstoß=Verzierungen (Paspel-Verzierungen)

Carton-Kleid? =-O Von so etwas hatte ich bisher noch nie gehört gehabt, entsprechend war meine Neugierde geweckt und ich suchte die Beschreibung zu Nr. 49, was ich fand, gebe ich euch hier einmal im Originalton wieder:

"49-50. Zwei Carton=Kleider.

Mit den Abb. 49-50 veranschaulichen wir unseren Leserinnen eines der neusten Erzeugnisse der Industrie, welches dazu bestimmt ist, den ihrer Garderobe  mit eigener Hand anfertigenden Damen eine große Erleichterung zu gewähren. Die sogenannten Carton=Kleider enthalten, in einer sauber ausgestatteten Pappschachtel vereinigt, nicht nur den Stoff nebst genau passenden Besatz und Knöpfen, sondern auch die verschiedenen Garniturtheile wie Plissés, Kragen, Ärmel= und Taschenaufschläge u. s. w. (
und so weiter) fix und fertig  genäht und zum Aufsetzen vorbereitet, nebst einen Schnitt und dem Reichthum der Ausstattung. So erhält man schon sehr hübsche Percalkleider zum Preis von 25-36 Mark - wollene dagegen von 36-50 Mark und darüber. Abb. 49 gilt einer Zusammenstellung von hellgrauem Percal mit Vorstoß. Abb. 50 veranschaulicht ein steingraues Kaschmir=Kleid, dessen Verzierung ein durch die Maschine mit farbigen Blumen besticktes Atlasgewebe in derselben Farbe ergiebt."

Carton
So gesehen ein Nähset mit teilweisen fertigen Teilen, so dass man zu Hause nicht mehr ganz so viel Zeit aufwenden muss, vor allem, wenn man bereits im Besitz einer Haushaltsnähmaschine (Kaufpreis 100 Mark) war. Eine wahre Erleichterung und Zeitersparnis und ich gebe zu, ich wünschte es gäbe noch so ein Carton-Kleid von anno dazumal, ich wäre eine dankbare Abnehmerin, vielleicht nicht gerade in grau, das steht mir nicht, aber ich könnte mir vorstellen, dass es damals einige Damen gab, die diese Cartons gerne erwarben, denn so mussten sie nicht vom Tuchladen oder auch noch zum Kurzwarengeschäft eilen und wenn sie vielleicht nicht ganz so geschickt waren beim Sticken war es eine doppelte Erleichterung, wobei Sticken zu den Handarbeiten gehörte, die eine wohlerzogene Tochter aus gutem Hause, und damit meine ich nicht nur die reichen Töchter, auch die Töchter von Beamten oder Lehrern, Kaufleuten, etc., erlernten diese Handarbeiten zum Zeitvertreib, aber vor allem auch, um die eigene Aussteuer zu fertigen oder zumindest kunstvoll zu verzieren.

Also an wen richtete sich dieses Angebot? Wir können dadurch auch zugleich erahnen, wer die geneigten Leserinnen der Illustrierten Frauen-Zeitung gewesen waren.

Stellen wir diese Rechnung mal für ein Percalkleid zu 25 Mark an. Ein Dienstmädchen verdiente 11 Mark im Monat und wird sich diese Kleider eher nicht gekauft haben, selbst wenn sie monatlich gespart hätte, so hätte es eine ganze Weile gebraucht und dann wäre das Kleid vielleicht schon wieder aus der Mode gewesen. Die Schneiderin mit einem Monatslohn von 60 Mark schon eher, aber diese Dame dürfte nicht auf die Hilfe derartiger Sets angewesen gewesen sein. Ich tendiere eher zu den Ehefrauen von Lehrern in der Stadt (115 Mark/mtl.) oder der Gattin eines Rechtsrats (240 Mark), denn man muss ja auch noch die Miete (Berlin 35 Mark für eine 3-Raum-Wohnung) beachten und die weiteren Lebenshaltungskosten inkl. wenigstens einer Angestellten Person, die der Dame des Hauses zur Hand ging. Es dürfte eher die Mittelschicht gewesen sein oder die untere Oberschicht, die diese Magazine erwarb/abonnierte und entsprechend von diesen Angeboen profitierten.

Zur Währeungsumrechnung: im Jahre 1881 entsprach 1 Mark ungefähr 6,40 €. Also so ein Percalkleid kostete zwischen 160 und 230 € und ein Kleid von Kaschmir zwischen 230 € und 320 €, also eher eine Anschaffung für gut verdienende Bürger und vor allem für solche, die auch Gelegenheiten hatten, diese schönen Kleider, sie waren gewiss schön mit Stickerei, Plissé, Paspel und Fältelungen, leider gibt es keine Bilder von den fertigen Kleidern, auch auszuführen.