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Hauskleid, 1879

Ich habe beschlossen, wieder ein Arbeitskleid mit Schürze zu nähen. Erst wollte ich ein neues Uniformkleid für ein Hausmädchen/Kammerzofe nähen, doch dann habe ich mich umentschieden. Ein schlichtes Hauskleid für die Dame des Hauses wird es genügen. So schnell können sich die Pläne ändern, statt Kammerzofe nun ein einfaches Kleid, das etwas bequemer ist, also wahrscheinlich keine zusätzlichen Korsettstäbe zur Versteifung der Taille, nicht allzuviel Aufputz und dunklere, pflegeleichtere Farben.

Warum also ein schlichtes Kleid? Nun ich mag die Vorstellung im Advent traditionelle Plätzchen zu backen, Adventskränze zu binden, Kerzenlicht und besinnliche Weihnachtslieder und dabei stilvoll in einem bescheidenen Kleid der Küraßmode gekleidet zu sein, doch nicht als Hausangestellte, sondern als Dame des Hauses. Verschroben? Vielleicht, ein bisschen, aber ein bisschen Spleen darf sein.

Welche Schnitte werde ich also verwenden? Nun auf jeden Fall den "Fantail Skirt", allerdings ohne Schleppe, mit Schleppe werde ich aber auf noch einmal nähen, ich liebe diesen Rock einfach zu sehr. Dazu eine einfache Taille mit 3/4-Arm, das ist praktischer beim Backen, bleibt die Frage nach einem passenden Oberrock, der nicht allzuviel Stoff verschlingt. Mein Traum wäre ja der Hermione Oberrock, aber der verschlingt fast 6 m, ich werde also den Oberrock auswählen, wenn der Stoff da ist und ich auslegen kann. Dann werde ich sehen, wieviel Stoff tatsächlich für den Oberrock übrigbleiben wird.

So, nachdem ich nun einige Tage Modekupfer und Modezeitschriften durchstöbert habe, habe ich mich entschieden, denke ich. Die März-Ausgabe der Demorest's Monthly Magazine aus dem Jahr 1880 hat die Entscheidung fallen lassen. Ja, es wird wieder teilweise eine Reproduktion eines Models aus einer Zeitschrift, da das Demorest's Monthly Magazine scheinbar eine eigenständige Produktion war und die Gattin des Herausgebers selber Schnittmuster erstellte, finde ich dieses Model wohl in keinem europäischen Journal.

HauskleidEs wird das linke Model werden, von dem wir hier die Frontansicht haben, wird es werden und damit wird es der Hermione Oberrock. Ich habe dann doch noch etwas Stoff nachgeordert und damit ist es egal wie viel Stoff der Oberrock verschlingen wird. Es bleibt nur noch die Frage ob der kontrastierende Stoff ein dunkles weinrot oder ein strahlenderes bordeaux wird. Aber die Entscheidung hat noch etwa eine Woche Zeit.

Beschreibung aus Demorest's Monthly Magazine:
"Die Frederica Jacke und Hermione Oberrock wird mit einem kurzen Spazierrock zu diesem Kostüm kombiniert. Die Materialien sind braune Arumé Seide, kombiniert mit indischen Material in orientalischer Farbe. Das letztgenannte Material wird für die Jacke und für Bänder des Oberrocks verwendet. Ecru Hut mit braunem Satin und geschmückt mit brauenen und cremefarbenen Federn. Schnittmuster Jacke $0.25 je Größe. Schnittmuster Oberrock $0.30. Schnittmuster Rock, $0.30, je Größe."

Kommen wir weiter zum geplanten Hauskleid. Das linke Kleid ist als Spazierkleid gedacht, aber es wird sich auch als elegantes Hauskleid sehr schön machen. Denn anstelle einer jackenähnlichen Taille, werde ich eine andere Taille nähen. Die Taille wird auf jeden Fall 3/4-Ärmel haben, das wird sich beim Backen besser machen, ja die Dame des Hauses möchte backen und zwar Ende November, damit zum 1. Advent die Plätzchen fertig sind. Aber zurück zum Kleid.
Hauskleid
Der untere Rock (TV225) wird aus schwarzem Popeline gefertigt werden und bekommt einen Besatz aus schwarzen Falten, unterbrochen von einem farblichen Einsatz, der sich am Oberrock (TV326) jeweils am Saum des Oberrocks und der Paniere wiederfinden wird, eine schleifenartige Bänderverzierung wird, sehr wahrscheinlich, in der Mitte angebracht werden. Die Kante zwischen Rock und Saumbesatz werde ich mit einer Rüsche abdecken, ich denke da wieder an eine Zickzack-Rüsche, es sei denn ich finde noch eine brauchbare Anleitung für eine Muschelrüsche.
Der Oberrock (TV326) wird aus schwarzem Batist gefertigt werden, ja Batist ist sehr leicht und nicht sehr dick. Aber beim letzten Mal war die Naht so dick, dass ich lieber einen dünneren Stoff verwenden möchte. Vielleicht unterlege ich ihn aber auch wieder, man weiß ja nie, endgültig entscheidet sich das ohnehin erst beim Nähen. An Stoff soll es nicht mangeln, meine Vorratskisten sind gut gefüllt.

Die Taille wird noch einmal interessant, da werde ich den Cuirass Schnitt von Truly Victorian (TV420) verwenden ohne viel Schnickschnack, außer einem Kragen- und Manschetteneinsatz, dies wird abnehmbar sein und so leichter waschbar, alles was mit der Haut in Kontakt kommt, wurde früher gern separat getragen, damit eher diese Teile gewaschen wurden, statt des Hauptkleides, das ist nicht muffig, sondern schont den Stoff, der durch all die Lagen, die Frau trug, weniger schmutzig wurde. Ich will es ja obenrum einfach halten, also werde ich sie wohl aus schwarzen Batist unterlegt mit schwarzen Popeline fertigen. Ich denke, an der Taille werde ich auch noch einen Vesteinsatz in rot verarbeiten, vielleicht auch die Knöpfe mit rotem Stoff beziehen und die Manschetten werden auch mit rot gearbeitet. So wird die zweite Farbe auch in der Taille wieder aufgenommen werden und die Kombination von zwei Farben (hier schwarz und rot) und verschiedenen Stoffen (in meinem Fall Popeline und Batist) war durchaus üblich, auch wenn die Beschreibungen und Modekupfer in der Regel die exklusiveren Stoffe verwenden, die normale Bügerin, wählte die Stoffe, die sie sich leisten konnte und das war in den seltensten Fälle Seide und Samt, sondern eher Baumwolle, da sie erschwinglicher und auch robuster war und dennoch konnte man auch mit einfachen Stoffe elegante Modelle fertigen.
Hauskleid
Oben ist der Hermione Oberrock nochmals einzeln von vorn und von hinten zu sehen. Und dann bin ich schon gespannt, wie sich das Projekt entwickeln wird, nach dem letzten Projekt mit Originalschnitten, bin ich ganz optimistisch, somal ich für Hermione ja den Schnitt als Reproduktion von Truly Victorian habe und den Rock schon einmal genäht hatte.

Nach 1,5 Wochen ist das Projekt Hauskleid halb fertig, verrückt oder? Aber ich fange von vorne an.

StoffDies sind nun also die auserwählten Stoffe und Farben, Schwarzer und bordeauxroter Popeline und Batist als Futter. Das bordeaux sieht einfach traumhaft aus, ich liebe diese Farbe, wie auch den Wein ;-). Wenn ich von dem bordeaux Stoff noch etwas übrig behalten sollte, könnte ich mir vorstellen noch eine Abendtaille zu nähen, auf jeden Fall aber eine Handtasche, denn aus dem Hauskleid wird wohl eher ein Haus- und Promenadenkleid. Aber wo ich überhaupt bei der Taille bin, natürlich habe ich mich auch bei der Taille von einem Original inspirieren lassen oder zumindest von einer Darstellung in der La Mode Ilustrée. Nachfolgend nun die Bilder von der Taille und eine kleine Entwurfszeichnung, ich bin nicht sehr gut im zeichnen, aber ab und an versuche ich meine Nähprojekte vor dem Nähen zu visualisieren.

Taille  Kleid

Und nun, an die Nadel, fertig los!

1. Teil: Fantail Skirt

Alles fängt, wie meistens, mit dem unteren Rock an, in diesem Fall der Fantail Skirt ohne Schleppe. Wenn man sich die Schnittteile anschaut und dann auf die Zeichnung, dann kann man sich gar nicht vorstellen, dass der Rock am Ende eine schmale Silhoutte haben wird, aber seht selbst mit welchem simplen Trick das dann doch funktioniert.

Rock  Rock
So sieht der Rock aus, wenn man die Schnittteile zusammengenäht hat, da würde locker eine Tournüre drunter passen, allerdings wäre die Länge hinten dann zu kurz.

Rock  Rock



Hier nun also das kleine Geheimnis des Rockes Rockund rechts nochmal von der Seite. Die ganze Weite wurde für die Silhoutte dieses Rockes im hinteren Bereich "extrem" gerafft.
RockDas Geheimnis sind zwei Tunnelbänder im Inneren des Rockes, kanpp über dem Knie. in diesen Tunneln sind die Bänder, mit denen man den Rock eng bekommt und die Silhoutte des Jahres 1878 erzielt. Simpel aber sehr effektiv, dieser Trick wird später auch beim Oberrock nochmals in Einsatz gebracht werden.

Nachdem der Rock fertig genäht war, inklusive Saum und Taillenband sieht das Ganze nun so aus:

Rock   Rock

Rock Fertig genäht war der Rock nun, aber nun fehlt noch die Rockdekoration. Dafür sah das Originalmodell einen Besatz aus Falten und glatten Stoffstücken vor. Besatz

Beide Besätze wechseln sich in regelmäßigen Abständen ab, also musste etwas Mathe her, um den Stoff auf die Rockweite gleichmäßig zu verteilen, am Ende standen sechs glatte und 6 Faltenbesätze auf dem Zettel. Bei meinem bestickten Tageskleid habe ich die Falten noch auf halber Höhe gesichert auf der Innenseite, dieses Mal verzichte ich darauf und hoffe, dass die Falten genug halten, durch ausgiebiges Bügeln.

Dieser Besatz wurde schließlich auf den Rock aufgenäht und dann stellte sich mir die Frage, über die ich mir bis dahin überhaupt keine Gedanken gemacht hatte, zumindest hatte ich bis hierhin keine Entscheidung getroffen gehabt. Ein Band war mir zu simpel, eine Rüsche musste her. Ich liebäugelte mit einer Muschelrüsche, hatte aber keine brauchbare Anleitung gefunden, also griff ich auf eine Zickzackrüsche zurück.
rock  rock
Rock
Und nun ist der Rock endgültig fertig und man könnte meinen er hat eine Schleppe, doch ist er wirklich nur bodenlang, aber er fächert sich trotz der Kürze herrlich.

Dies war der 1. Streich und der 2. wurde sogleich begonnen.
























2. Teil: Hermione Oberrock

Was folgt auf den Basisrock? Richtig, der Oberrock, in diesem Fall hört er auf den wohlklingenden Namen "Hermione". Der Rock besteht aus ganzen vier Teilen, die im Finale zusammengeführt werden: eine lange Schürze, zwei seitliche Panieren und der hinteren Rockbahn.
Schürze
Den Anfang macht die lange Schürze, die auch noch das einfachste an dem ganzen Unterfangen ist. Der Saum wird mit farblich passenden Band besetzt und dann werden die Seiten und die Mitte in aufwärts gerichtete Falten gelegt. Dadurch wird zwar ein Teil der Rüschenborte verdeckt, aber das ist halb so schlimm, man sieht sie seitlich noch zu genüge.

Schürze
Die Schürze ist hier provisorisch hinten an den Basisrock gesteckt, aber so ähnlich wird das Endresultat auch aussehen.

Ich konnte mit etwas einfachen beginnen, aber die Paniere werden weniger einfach. Eigentlich sind sie nicht so schwer, aber das gemeine ist der Umstand, Trickdas die vorderen Falten der Paniere in einer Lage zusammengefasst werden, um das gewünschte Aussehen zu erzielen. Dadurch hat man dann das "Vergnügen" bis zu 20 Stofflagen zu nähen, da kommt Freude auf. Somal diese Naht sehr wulstig ist, ich habe sie reichlich flach gebügelt, aber so richtig glücklich bin ich damit noch nicht. Um
panierdiese Wulst weiter abzuflachen, habe ich mir online einige Tipps geholt und werde diese bei Gelegenheit umsetzen (u.a. mit einem Hammer weich schlagen).
Nicht ganz stoßen die Falten in der Mitte aufeinander, was sie eigentlich tun sollten, aber dieser winzige "Mangel" wird mit der Schleife verdeckt, die am Ende dort platziert werden wird.
Schürze+Panier

Schließlich sind die Paniere miteinander verbunden und das Panier auch mit der Schürze, nun geht es an die rückwärtige Rockbahn. Diese wird einfarbig bleiben und während die Falten bisher alle aufwärts gelegt werden, werden die Falten hinten nach unten gelegt.

In der vergangenen Woche hatte ich meine Taille so weit fertig, das am Freitag nur noch die Ärmel und der Kleinkram wie Manschetten, Kragen und Verschluss fehlte.

Taille







Freitagabend habe ich dann die Taille anprobiert an mir selbst und an Marie und ich bekam sie nicht zu. Schock, großer Schock. Da es aber schon spät war, habe ich die Fehlersuche auf den nächsten Tag verlegt.

Taille







Im Grunde gibt es drei mögliche Fehlerquellen:

1) ich habe mich tatsächlich vermessen, obwohl ich zetigleich die Maße auch an Marie anpasste und sie die Maße genau noch hatte

2) ich habe mich verrechnet. Bei den Schnitten von Truly Victorian muss man ein wenig rechnen, um die richtige Größe der vorderen Teile zu ermitteln

3) ich bin beim Ablesen der Werte für die richtige Größe in der Spalte verrutscht.

Was immer auch die Ursache war, die Taille geht nicht zu. Also habe ich mich gestern noch einmal vermessen und jeden einzelnen Rechenschritt separat aufgeschrieben und mehrmals durchgerechnet. Das Ergebnis war: Ärmel, Kragen, Manschetten, Rücken und Seitenteile haben die richtige Größe. Die beiden vorderen Teile waren zu klein. Verarbeitet hatte ich H (Truly Victorian nutzt keine gängigen Konfektionen) und gebraucht hätte ich K, das machte allein beim Frontteil schon jeweils 2,5 cm aus und das mal zwei und auch das Vestteil war nun gut 0,5 cm größer, erst einmal nicht viel, das aber auch wieder mal zwei und schwuppdiwupp sind mal eben 6 cm mehr Stoff vorhanden.

Also schön die alten Teile abtrennen, die neuen Teile zuschneiden und wieder nähen. Das war dann meine tailleSamstagsbeschäftigung und wo ich schon dabei war, ich war ein wenig faul und hatte keine große Lust die Paspeln abzutrennen und wieder aufzunähen, also habe ich meine Modejournale von 1877-1880 durchstöbert wie ich die Taille noch anders verzieren könnte. Etwas schmales sollte es auf jeden Fall werden und vielleicht etwas, das sich an den Röcken wiederholt. Und dann fand ich das hier:
taille
Eine Rüsche entlang des Vestteils und auch am Kragen entlang. Und welche Rüsche habe ich schon auf dem Rock? Richtig, ich werde eine sehr schmale Zickzackrüsche anfertigen, die ich dann entlang der Weste und dem Kragen anlegen kann, sonst mag ich eigentlich keine großen Rüschen, da ich von Natur aus schon sehr gesegnet bin mit Oberweite, aber wenn ich die Rüsche so flach wie möglich anlege könnte es dennoch was werden.

Nun nachdem die Taille passt, konnte ich sie endlich dekorieren. Entlang des Kragens und der Weste habe ich die Rüsche bereits fertig, nun fehlen nur noch die Manschetten und die Verschlüsse der Taille.
Hauskleid

Hier ist sie noch sehr schlicht lediglich mit einer Paspel im Kragen, das Zickzacken konnte danach beginnen und dafür habe ich zunächst einmal meinen Vorrat an Stoffresten aufgebraucht, da waren noch viele lange Reste, die ich ganz gut für die schmale Rüsche verarbeiten.

Hauskleid





Und nun auf der linken Seite, die Zickzackrüsche am Kragen. Die Rüsche sieht immer ganz hübsch aus und auch wenn man sie auf einer vorgegebenen Kante entlang aufnäht, fällt das gar nicht auf. Sie wird nicht nur auf Zickzack hergestellt, sie wirkt auch aufgenäht etwas zickzackmäßig.


Hauskleid

Die letzten Stiche sind getan, mein Hauskleid ist fertig und hier nun kommen die letzten Bilder vom fertigen Kleid und vor allem auch getragen und als Video, da man ja im Moment nichts unternehmen kann.

Hauskleid






































Und zum Abschluss noch ein paar Bilder:

Hauskleid  Hauskleid

Hauskleid  Hauskleid

Und damit ist auch dieses Nähprojekt vollendet und wartet auf die Wiedereröffnung von Museen und Schlösser. Aber bis es in angemessener Umgebung flanieren kann, einstweilen noch einmal ein paar Wohnzimmerbilder bei Tageslicht.

Kleid  Kleid
Kleid